Heinrich von Kleist: Penthesilea
Berlin, Schaubühne, 21.02.2008
Dass man mit einer Elektro-Gitarre großen Eindruck, jedenfalls aber erheblichen Lärm erzeugen kann, wissen wir spätestens seit den 60er Jahren und von zahllosen Pop-Konzerten in riesigen Hallen oder auf weitem Gelände. Dafür braucht man nicht unbedingt anspruchsvolle Texte, schon gar nicht klassische Literatur.

Auf der Berliner Schaubühne geht Kleists Penthesilea im Schlachtenlärm unter, zerrieben nicht zwischen Griechen und Amazonen, schon gar nicht zwischen der Härte der eigenen Gesetze und der Verzweiflung der eigenen Gefühle, sondern zwischen den Ansprüchen eines feinsinnigen Textes und den Möglichkeiten eines technischen Instrumentes.

Gegen das Volumen eines modernen Verstärkers, den heute jede halbwegs selbstbewusste Band auf die Bühne wuchtet, hat eine der leisesten Tragödien der Weltliteratur keine Chance. Penthesilea goes Woodstock.

Warum ein so renommierter Regisseur wie Luk Perceval eine solche Schlachtordnung zulässt, bleibt die einzige offene Frage einer lautstarken, deshalb schwachen Inszenierung.

Dornröschen
Essen, Aalto-Ballett
Wenige Tage nach der Benennung seines Nachfolgers ab Herbst nächsten Jahres hat Martin Puttke wieder einmal gezeigt, wie grandios sich das Aalto-Ballett unter seiner künstlerischen Leitung entwickelt hat. Mit der neuen Produktion hat seine Compagnie nach „Nussknacker“ und „Schwanensee“ nun alle großen Tschaikowsky-Ballette im Repertoire. Es gibt nur noch wenige Häuser im Lande, die unter quantitativen wie qualitativen Aspekten dazu in der Lage sind.
In der unspektakulären, „leichtfüßigen“ Choreographie von Stefan Lux, die Tänze in der Original-Version der St. Petersburger Uraufführung integriert, wird erneut die stilistische Bandbreite und Professionalität des Aalto-Balletts deutlich, in dem sich langjährige und neue Ensemble-Mitglieder mühelos neben prominenten Gästen behaupten können. Respekt verdient auch die Mitwirkung der Eleven des Werdener Gymnasiums, die keineswegs nur als Statisten gebraucht und eingesetzt wurden.
Das Essener „Dornröschen“ ist ein Märchenballett, wie man es sich wünscht: in einer stimmungsvollen Kulisse mit farbenprächtigen Kostümen liebevoll, aber ganz unsentimental in Szene gesetzt – mit einer ansteckenden Begeisterung aller Mitwirkenden, auch wenn neben manchen herrlichen Kabinett-stückchen der große Bogen nicht immer mit gleicher Spannung erhalten bleibt.

DER FAUST. DEUTSCHER THEATERPREIS
Essen, Aalto-Theater, 24.11.2006
Das Beste am Deutschen Theaterpreis ist, dass es ihn endlich gibt. Die Form oder genauer „das Format“ der ersten Preisverleihung war allerdings die Selbstabdankung des Theaters zugunsten des Fernsehens. Acht Einzelpreise in unterschiedlichen Kategorien, jeweils von einem prominenten Paten nach dem verheerenden Beispiel von Filmpreis-Galas präsentiert und vergeben, die nominierten Künstler und Inszenierungen „TV-gerecht“ in jeweils 30 bis 60 Sekunden vorgestellt bzw. zur Unkenntlichkeit entstellt, ob „Hedda Gabler“, „Macbeth“ oder „Tristan und Isolde“: es war ein Jammer. Wieso muss eigentlich der „Faust“ mit dem „Oscar“ konkurrieren? Und wird die Vergabe eines Deutschen Theaterpreises erst durch eine Fernsehübertragung geadelt – übrigens im ZDF-Theaterkanal, also unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit?
George Tabori, der große alte Mann des deutschen Theaters, der den großen FAUST für die Würdigung seines Lebenswerkes als Dramatiker, Schauspieler und Regisseur nicht persönlich entgegennehmen konnte, hat nichts verpasst, was er nicht auch am Fernsehgerät bequemer verfolgen konnte. Was im ganz kleinen TV-Format nicht zu sehen war, hat an diesem Abend auch nicht stattgefunden: großes Theater.

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