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Vom Dialog zum Trialog? Geburtstagswünsche zum 50. Jahrestag des Christlich-jüdischen Dialoges
33. Deutscher Evangelischer Kirchentag in Dresden am 2. Juni 2011

Friedliches Zusammenleben von Menschen, Völkern, Nationen und Kulturen wird es nicht geben ohne Verständnis, Verständigung und Toleranz zwischen den Religionen. Diese Verständigung kann es nicht geben ohne Dialog. Es gibt deshalb ein Interesse an diesem Dialog, selbst wenn die Religionen ihrerseits dieses Interesse nicht hätten. Und sie hatten es auch nicht immer.

Wir werden in Europa, insbesondere in Westeuropa, um eine nüchterne neue Bewertung der Bedeutung von Religion in der Weltgesellschaft des Dritten Jahrtausends nicht herumkommen. Der Blick von Pakistan und Afghanistan über die Arabischen Staaten, Nordafrika bis hin zu den Vereinigten Staaten macht überdeutlich, dass die Zeit der Religionen sicher nicht vorbei ist, sondern mit der europäischen Ausnahme von der globalen Regel die Bedeutung religiöser Orientierungen für gesellschaftliches und politisches Handeln eher zugenommen hat.

Christentum und Islam sind mit jeweils über einer Milliarde Anhänger die größten Religionsgemeinschaften dieser Erde; fast ein Drittel der Menschheit sind Christen oder Muslime. Beide Religionen sind mit dem Judentum von ihren eigenen Quellen her stärker verbunden als es im Selbstverständnis der Gläubigen wie in der Selbstdarstellung ihrer Religionen oft erkennbar ist.

Die Migrationen der jüngeren Vergangenheit und die damit verbundene Begegnung, gelegentlich auch Konfrontation von Religionen und Kulturen führt international wie national zu neuen Herausforderungen. In Deutschland leben mittlerweile neben rund 50 Millionen Christen wieder mehr als Hunderttausend Juden sowie rund drei Millionen Muslime. Auch in England gibt es eine ähnlich starke muslimische Bevölkerung und in Frankreich sogar vier Millionen muslimische Mitbürgerinnen und Mitbürger. Manche Prognosen der weiteren Migrationsentwicklung lassen erwarten, dass es im Jahre 2020 möglicherweise bis zu zwanzig Millionen Muslime in Deutschland geben könnte.

Karl-Josef Kuschel hat in seiner Studie „Religiöser Pluralismus und Toleranz in Europa“ zu Recht darauf hingewiesen, dass es noch nie in der deutschen Geschichte eine religiöse Minderheit in Millionenstärke gegeben hat und – im Unterschied etwa zu Spanien oder Sizilien – überhaupt noch nie eine starke islamische Minderheit. „Auch für Muslime ist die Situation in Deutschland prekär, ist doch ihre Situation historisch genauso analogielos. Zum ersten Mal lebt eine größere Zahl von Muslimen außerhalb des dar al Islam – und zwar in Ländern, deren Gesetzgebung nicht auf der Scharia basiert. Ihr ohnehin vorhandenes Unbehagen als gesellschaftliche Minderheit wird durch autogene Spannungen in der islamischen Welt verstärkt, die durchaus reale Widersprüche reflektieren und nicht bloß durch westliche Medien propagandistisch antiislamisch ausgenutzt werden. Hinzu kommt: Muslime müssen sich mit einem Europa auseinandersetzen, das durch Demokratie, Gewaltenteilung, Menschenrechte sowie Trennung von Staat und Religion gekennzeichnet ist. Vielen Muslimen ist das fremd, ja sie fühlen sich nicht nur in ihrer kulturellen, sondern auch in ihrer religiösen Identität bedroht und reagieren entsprechend aggressiv abwehrend.“ (Karl-Josef Kuschel)

Juden, Christen und Muslime bilden unter den großen Weltreligionen eine besondere Gemeinschaft der monotheistischen Gläubigen. Sie können und dürfen sich nicht ignorieren. Und schon gar nicht sollten sie sich bekämpfen. Für das eine wie das andere gibt es Beispiele: für Toleranz, für Ignoranz und auch für aggressive, gewaltsame Auseinandersetzung bis hin zur Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung – auch und gerade von Christen gegenüber Juden wie Muslimen.

Zwei Dokumente aus jüngerer Zeit verdeutlichen, wie groß die Strecke vom Dialog zum Trialog ist. Beide sind aus dem Jahre 2007.

In ihrer damals vorgelegten „Handreichung“ unter dem Titel „Klarheit und gute Nachbarschaft“ haben hochrangige Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ein Konzept entwickelt, das den Eindruck vermittelt, dem Verhältnis von Juden und Christen Exklusivität zu verleihen und sich gleichzeitig vom Islam demonstrativ abzugrenzen. In diesem „Strategiepapier“ wird nicht nur in der Wahrnehmung islamischer Repräsentanten alles getan, um theologische Gemeinsamkeiten mit Muslimen entweder völlig zu bestreiten oder – wo unvermeidlich – zu minimalisieren.

Auf der anderen Seite ist ein analoges Denkmuster erkennbar. Am 13. Oktober 2007 haben 138 muslimische Autoritäten aus aller Welt ein langes Schreiben an die Führer christlicher Kirchen in aller Welt veröffentlicht. Darin fordern sie in fast dramatischer Weise zu einem Dialog auf. Zum „ersten Mal seit den Tagen des Propheten“, liest man, seien islamische Gelehrte einmütig zusammengekommen, um einen „gemeinsamen Grund zwischen Christentum und Islam“ zu deklarieren. Weite Passagen des Dokuments bestehen darin, das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe vom Koran und der Sunna, den Überlieferungen des Propheten, her zu begründen. Gleichzeitig wird auf Parallelen im Alten und Neuen Testament aufmerksam gemacht. Gefolgert wird daraus: „Die Einzigartigkeit Gottes, die Liebe zu ihm und die Liebe zum Nächsten stellen eine gemeinsame Basis dar, auf der der Islam und das Christentum begründet sind.“

Auch dieses Papier könnte als ein Meilenstein im weltweiten muslimisch-christlichen Dialog verstanden werden. Aber auffällig ist: Der jüdische Partner ist weder vorgesehen noch eingeladen! Dabei wird auf das Alte Testament im Dokument durchaus verwiesen. Die Unterzeichner wissen, dass das Doppelgebot der Liebe nicht von Christen „erfunden“ wurde, sondern alttestamentlich-jüdische Wurzeln hat. Es eint Juden, Christen und Muslime. Doch ausschließlich die Beziehung Muslime – Christen wird Gegenstand der Betrachtung und der Aufforderung zur Gemeinsamkeit.

Die Ermutigung zum Dialog ist richtig, für die Herausforderungen der Gegenwart reicht sie nicht aus. Ein Trialog ist offensichtlich nötig – aber ist er auch möglich? Die Ansprüche sind hoch, sie erfordern mehr als guten Willen. Trialogisches Denken ist das Gegenteil von abgrenzendem oder ausgrenzendem Denken, mehr als die Betonung der eigenen Identität, die Angst vor Identitätsverlust, der Wahrheitsanspruch ohne Rücksicht auf Mitglaubende, der hohe Ton der eigenen Überzeugungen – so, als habe man sie für sich allein. Die Konsequenz isolierender Attitüden im Denken und Handeln sind Tunnelblick, Monologisieren, ängstliches Bestandsichern, Rückzug in Ghettostrukturen, Parallelgesellschaften.

Wer einen Trialog der monotheistischen Weltreligionen ernsthaft will, muss wissen, worauf er sich einlässt:

1. Der jüdisch-christlich-muslimische Trialog muss mehr sein als ein „multikultureller Small-Talk ohne Tiefgang und Profil“ (Edna Brocke), muss mehr sein auch als die Freude an Vielfalt, oft verbunden mit dem fröhlichen Missverständnis, alles ist möglich, alles ist gleich, alles ist gleich gültig oder gleichgültig.

2. Der Blick auf das Gemeinsame darf die Sicht auf Unterschiede nicht trüben. Trialog ist keine Bagatellisierung der Wahrheitsfrage. „Und wenn Gott gewollt hätte, hätte er euch zu einer Gemeinde gemacht, einer einzigen. Aber er wollte euch in dem prüfen, was er euch gegeben hat. So wetteifert um die gutenDinge“. (Koran, Sure 5, 48)

3. Es gibt keinen Dialog zwischen Religionen, schon gar keinen Trialog. Dialoge gibt es nur zwischen Menschen, sie müssen zum Dialog bereit und in der Lage sein. Sie müssen die Eigenständigkeit des jeweils Anderen wahren und der doppelten Versuchung zur Dramatisierung wie zur Banalisierung widerstehen. Überfällig ist ein Erlernen trialogischer Kompetenz durch das jeweilige Führungspersonal: bei der Ausbildung von Rabbinern, Pastoren und Mullahs. Der Stellenwert dieser Qualifikation ist bei der Auswahl wie der Ausbildung geistlicher Führer in allen drei Religionen nach wie vor defizitär.

Kofi Annan, langjähriger Generalsekretär der Vereinten Nationen hat ein von ihm herausgegebenes Manifest mit dem Titel „Brücken in die Zukunft“ mit einem Zitat des bedeutenden islamischen Mystikern Rumi beendet, das sich als Motto der Bemühungen eignet, die mit einem ernsthaften Trialog der abrahamitischen Religionen gemeint sind: „Draußen hinter den Ideen vom rechten und falschen Tun liegt ein Acker. Wir treffen uns dort. Das ist die ganze Aufgabe. Aber um sie zu erledigen, bedarf es zweier Voraussetzungen. Erstens muss man sich treffen wollen. und zweitens, muss man den Acker tatsächlich bearbeiten.“

Man muss sich treffen. Man muss tatsächlich arbeiten. Und vor allem: man muss es wollen.


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