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Ana-Marija Markovina
GLÜCKS-Spiel
Staccato-Verlag, Düsseldorf 2019


Es fördert die Auflage vermutlich nicht, wenn ein Verlag ein Buch mit dem ebenso irreführenden wie zutreffenden Titel „Glücks-Spiel“ herausbringt, das genau das nicht bietet, was man darunter herkömmlicherweise versteht, geschrieben von einer bekannten Pianistin, von der man durchaus Hinweise zum Spielen, nicht aber unbedingt zum Glück erwartet.



Tatsächlich behandelt das Buch erstaunlich viele Aspekte zum Spielen im Allgemeinen und zum Klavierspiel im Besonderen, die Ana-Marija Markovina als „Weg zum Glück“ beschreibt, der selbstverständlich nicht nur am Klavier zu finden ist. Ihre mit zahlreichen Verweisen auf philosophische Literatur und psychologische Befunde gestützte frohe Botschaft lautet: „Glück kann man üben“. Und man glaubt es ihr allzu gerne, zumal die erfolgreiche Pianistin und Pädagogin nicht nur den Glanz bejubelter Konzerte kennt, sondern auch das Elend des Scheiterns zwischen Begabung und Selbstüberschätzung. Aber auch und gerade die Zweifel am eigenen Vermögen sind für sie eine der Voraussetzungen zum Erfolg wie zum Glück: „Immer besser werden. Immer souveräner, immer zuversichtlicher“.



Dass Übung den Meister macht, ist keine neue Einsicht, und gilt ganz sicher nicht nur für das Musizieren. Was dies für den anspruchsvollen, mühsamen und schließlich beglückenden Umgang mit dem Klavier bedeutet, buchstabiert Markovina beinahe lückenlos durch: von der Haltung auf dem Stuhl oder Schemel, dem Lesen und Erlernen der Partitur, über die Unterschiede von rechter und linker Hand, den sorgfältigen Einsatz des Pedals, über Legato und Staccato, Tonleitern, Triller und Akkorde, Rhythmus, Tempi und Phrasierungen bis hin zu Fingersätzen, deren Unverzichtbarkeit die erfahrene Konzertpianistin ausdrücklich bestätigt und zugleich voreilige Verallgemeinerungen zurückweist. Beinahe hundert konkrete Notenbeispiele verdeutlichen die jeweiligen Herausforderungen und ihre mögliche Lösung.



Neben der eigenen Erfahrung von mehr als drei Jahrzehnten bei Konzerten überall in der Welt wie aus der Arbeit mit Schülern und Studenten beruft Ana-Maria Markovina sich gerne auf bekannte Künstler und Wissenschaftler, die Unzufriedenheit mit sich selbst nicht als lästige Behinderung, sondern als Motivationshilfe empfunden und beschrieben haben. „Unser Wollen muss dem Können voraus sein“, bis durch Beharrlichkeit ein Plateau erreicht sei, „auf dem sich unsere Vorstellung mit unserem Können deckt. Das ist eine wertvolle und nicht ersetzbare künstlerische Erfüllung, die leider nie lange andauert. Erstaunlicherweise sind wir in diesen Momenten völlig unabhängig von jeglichem Lob und jeglicher Anerkennung. Man könnte von Glück sprechen.“



Markovina weiß natürlich, dass die beschriebenen Zusammenhänge zwischen Wollen und Können, Begabungen und Begrenzungen, Herausforderungen und Bewältigungen, tiefer Verzweiflung und schierem Glück weder allein in der Musik zu finden sind, noch exklusiv am Klavier. Aber die Art und Weise, in der sie solche Verbindungen nicht nur vermutet, sondern belegt, hat eine geradezu ansteckende Wirkung. Eigentlich hätten es gut und gerne auch zwei Bücher werden können: eines über das Glück und das andere über die Musik. Aber es wäre zu schade um die Leser, die jetzt noch besser wissen als bisher, was das eine mit dem anderen zu tun hat.


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