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Armin Laschet / Navid Kermani / Lamya Kaddor
Wer sind wir und warum sind wir so? Deutschland und der Islam
Kiepenheuer & Witsch / C.H.Beck-Verlag, München & Köln


Wer sind wir und warum sind wir so?
Deutschland und der Islam



1) Armin Laschet: Die Aufsteiger-Republik, Zuwanderung als Chance, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009



2) Navid Kermani: Wer ist wir? Deutschland und seine Muslime, C.H.Beck-Verlag, München 2009



3) Lamya Kaddor: Muslimisch. Weiblich. Deutsch. Mein Weg zu einem zeitgemäßen Islam, C.H.Beck-Verlag, München 2010



Wer Migration nicht ohnehin für eine Zumutung, sondern in Zeiten der Globalisierung für unvermeidlich hält, und Integration nicht nur für eine anspruchsvolle, sondern auch lösbare Aufgabe, der findet in diesen Büchern beinahe alles, was man für die unvermeidliche Auseinandersetzung mit den damit verbundenen Herausforderungen braucht: Daten, Fakten, Argumente, Orientierungen, auch Relativierungen und vor allem Ermutigung.


Die drei Autoren gehen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Rollen als Wissenschaftler, Pädagogin und Politiker an ihr gemeinsames Anliegen, das sie jeweils aus ihrer eigenen Biographie heraus entwickeln und verdeutlichen. Sie verallgemeinern die ganz unterschiedlichen individuellen Prägungen durch Elternhaus, religiöse Erziehung, soziales Umfeld und berufliche Tätigkeit nicht, aber sie vermitteln dem sperrigen Thema, das immer wieder sowohl an Dialogverweigerung wie an wechselseitigen Belehrungsansprüchen zu scheitern droht, die Wirklichkeitsnähe konkreter Lebenserfahrungen.



1) Armin Laschet: Die Aufsteiger-Republik, Zuwanderung als Chance, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009

Dass Armin Laschet, der in der nordrhein-westfälischen Landesregierung von Jürgen Rüttgers zum ersten Integrationsminister in Deutschland berufen wurde, Zuwanderung als Chance und nicht als Bedrohung begreift, wird nicht mehr überraschen, die Gründlichkeit freilich, mit der er die politischen Versäumnisse der letzten Jahre und ihre ökonomischen wie sozialen Folgen aufarbeitet, imponiert vor allem deshalb, weil er sie mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für „die dritte deutsche Einheit“ – nach Wiederaufbau und Wiedervereinigung – verbindet: „Dass zwischen dem Erfolg der Bundesrepublik und der Zuwanderung – beziehungsweise der damit gekoppelten Integrationsfrage – ein enger Zusammenhang besteht, ist, obwohl eigentlich evident, jahrzehntelang ignoriert worden. Wirtschaftlicher und sozialer Erfolg waren und sind noch heute ohne Zuwanderung undenkbar, andererseits haben die gravierenden Defizite bei der Integration im Laufe der Jahre immer deutlicher zur spürbaren Belastung der Wirtschaftskraft und des Sozialstaats geführt“.


Der CDU-Politiker und engagierte Katholik Armin Laschet übersieht die Schwierigkeiten nicht, die sich aus dem Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen Prägungen, religiösen Überzeugungen und kulturellen Traditionen ergeben, aber er weiß, dass sie zu überwinden sind, wenn alteingesessene und „neue Deutsche“ die Gemeinsamkeiten arbeiten, ohne die keine Gesellschaft und schon gar keine moderne Gesellschaft ihren Zusammenhalt wahren und entwickeln kann. „Aber eine gemeinsame Leitkultur muss auch gemeinsam erarbeitet werden, damit sie auf Akzeptanz stößt“.



2) Navid Kermani: Wer ist wir? Deutschland und seine Muslime, C.H.Beck-Verlag, München 2009


Für den habilitierten Orientalisten, mehrfach preisgekrönten Islamwissenschaftler und erfolgreichen Publizisten Navid Kermani existiert heute in Deutschland bei allen Unterschieden im Detail „ein grundsätzlicher Konsens zwischen allen etablierten Parteien, Migranten in das Gemeinwesen einzubeziehen, statt sie auszugrenzen“. Ob dies, wie er vermutet, „später einmal zu den historischen Leistungen der Merkel-Jahre zählen“ wird, bleibt abzuwarten, sicher scheint, dass die vom damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble einberufene Deutsche Islamkonferenz wesentlich zu der öffentlichen Einsicht beigetragen hat, den Islam als einen Teil Deutschlands und Europas, seiner Gegenwart und seiner Zukunft zu begreifen. Dazu gehört die Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten wie von Unterschieden, die Kermani mit Beispielen aus der christlichen wie der islamischen Tradition eindrucksvoll belegt. „Die reine, überlieferte, ursprüngliche, eindeutige und widerspruchsfreie Lebensweise, wie sie alle Fundamentalismen für sich in Anspruch nehmen, hat es in dieser Reinheit nie gegeben. Sie ist ein Konstrukt“.


Tatsächlich findet der sogenannte Kampf der Kulturen mindestens so sehr mitten unter den Muslimen statt wie zwischen dem Islam und dem Westen, und die Zukunft unserer Zivilisation hängt vom Ausgang dieser politischen wie religiösen Auseinandersetzung nicht weniger ab als von der gemeinsamen Bekämpfung des Terrorismus, die damit weder zu verwechseln noch zu ersetzen ist. „Fragen nach der Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit des Islams mit der Demokratie oder den Menschenrechten sind deshalb so müßig, weil es erstens den Islam nicht gibt und er sie zweitens, selbst wenn es ihn gäbe, nicht beantwortete“.


In seiner brillanten Studie verdeutlicht Kermani die Konturen eines gesellschaftlichen Konsenses, wie der Islam sein sollte, damit er sich integriert, und was der Staat tun müsste, damit Muslime sich hier auch wirklich integrieren können. Dabei besteht für ihn kein Zweifel an der Universalität von Demokratie, Gewaltenteilung, weltanschaulicher Neutralität des Staates, Toleranz, Menschenrechten wie der Gleichberechtigung der Geschlechter, weshalb er ausdrücklich empfiehlt, dass „der Westen seine Leitkultur missionarisch ausbreiten sollte“, verbunden freilich mit dem weniger bequemen Hinweis, „die gegenwärtige Überlegenheit und der Leitanspruch westlicher Kultur würden sich darin erweisen, dass sie Muslimen jene Freiheit gewährt, die Christen in islamischen Ländern oft nicht haben“.



3) Lamya Kaddor: Muslimisch. Weiblich. Deutsch. Mein Weg zu einem zeitgemäßen Islam, C.H.Beck-Verlag, München 2010


Lamya Kaddor gehört zu den „neuen Deutschen“, auf die der Aachener Katholik Armin Laschet wie der Siegener Muslim Navid Kermani setzen, wenn sie die Integration von Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte nicht nur für nötig, sondern auch für möglich halten. In Ahlen in Westfalen als Tochter syrischer Eltern aufgewachsen, in Duisburg als Lehrerin mitten im multikulturellen Alltag beruflich tätig, gilt sie nach der Herausgabe eines deutschsprachigen „Koran für Kinder und Erwachsene“ inzwischen als Pionierin einer islamischen Religionspädagogik mit dem erklärten Ziel, „den Islam für uns so lebbar zu machen, dass er modernen Werten wie Toleranz, Weltoffenheit und Freiheit nicht widerspricht“. Von vielen selbsternannten Islamexperten unterscheidet sie sich durch die Distanzierung sowohl von religiösen Fundamentalisten wie von anderen Eiferern, die anstelle einer differenzierenden Auseinandersetzung den Islam rundum für fundamentalistisch erklären. Lamya Kaddor versteht sich als „gläubige Muslimin, und das hindert mich nicht daran, eine gute Demokratin zu sein“.


Muslimisch. Weiblich. Deutsch. Mit diesem glasklaren, unmissverständlichen Bekenntnis liest die Autorin den ideologisch verbohrten Gegnern der multikulturellen Gesellschaft ebenso deutlich die Leviten wie den naiven Schwärmern, die die Mindestvoraussetzungen für Integration und Partizipation in unserer Gesellschaft nicht begreifen wollen: die gemeinsame Sprache, die gemeinsame Rechtsordnung, die Bereitschaft zur wechselseitigen Toleranz mit dem Respekt vor unterschiedlichen religiösen Überzeugungen und kulturellen Traditionen.


Die Tabuisierung von Parallelgesellschaften in manchen deutschen Stadtteilen, in denen beinahe der gesamte Alltag vom Einkauf über den Hausarzt und Apotheker bis zum Rechtsanwalt und Steuerberater auf türkisch zu erledigen ist, fördert die Integration jedenfalls nicht.


„Der deutsche Staat ist gefordert, gerade solche Menschen verstärkt in seine Integrationspolitik einzubinden, die Deutschland nicht als Zwischenstation, sondern als Heimat verstehen, die an der Gesellschaft partizipieren und ihren Familien ein muslimisches Leben in Deutschland bieten wollen. Die schweigende Mehrheit der eingewanderten Muslime und ihrer Nachkommen will aktiv teilnehmen – allerdings auf gleicher Augenhöhe und nicht in einem Akt gnädiger Herablassung der Umgebung“.



Augenhöhe. Dies ist als allgemeine Einsicht leichter formuliert als im Alltag einer Gesellschaft realisiert. Aber die offensichtliche „Unlust, Deutsche zu werden, hat auch etwas damit zu tun, dass Einwanderern immer noch zu wenig Respekt entgegengebracht wird“ (Kaddor).


Tatsächlich ist das Problem von Migration und Integration in Deutschland nicht, dass wir zu viel Zuwanderung, sondern dass wir zu wenig Einbürgerung haben.
Warum dies so ist und warum es sich ändern muss, dafür vermitteln die drei Autoren beachtliche Hinweise.



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