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Christoph Zöpel
Weltstadt Ruhr Klartext -Verlag, Essen 2005
Mit dem Erscheinen seines Buches über die „Weltstadt Ruhr“ dominierte Christoph Zöpel für ein paar Tage die Nachrichten wie die Kommentare in der und über die Region. Das auffällige Interesse galt freilich nicht dem Buch, sondern dem Mann, der zur allgemeinen Überraschung als möglicher erster Direktor des neuen Regionalverbandes Ruhr gehandelt wurde. Der langjährige Landesminister für Verkehr und Städtebau, nach dem Wechsel in den Bundestag einige Zeit Staatsminister im Auswärtigen Amt, wollte sein Abgeordnetenmandat mit der Führung der umzubauenden Regionalverwaltung verbinden, bis er politisch und juristisch darüber aufgeklärt wurde, dass beide anspruchsvollen Ämter zwischen Essen und Berlin weder rechtlich noch tatsächlich nebeneinander wahrgenommen werden können. Christoph Zöpel war damit um eine Illusion ärmer – und das Ruhrgebiet auch.
Das Buch belegt, dass es für die wichtigste politische Funktion im Ruhrgebiet kaum einen anderen Kandidaten hätte geben können, der besser mit den Entwicklungen und Problemen dieser Region vertraut ist, einschließlich ihrer Unfähigkeit, sie zu lösen. Christoph Zöpel schildert Aufstieg und Fall der großen deutschen Industrieregion, die notorische Verweigerung ihrer politischen Selbstverwaltung, die administrative Zersplitterung und Außensteuerung von der ersten Kammer des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk (SVR) über den seiner Planungskompetenz beraubten Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) bis zum unzureichend reformierten Regionalverband Ruhr (RVR): „Nur der Weg zu einer Weltstadt hilft den Millionen Einwohnern zwischen Ruhr und Rhein ihr eigentlich selbstverständliches Ziel doch zu erreichen – lebendige Zukunft für eine sich benachteiligt fühlende alte Industrieagglomeration“.
Für Zöpel gehören Düsseldorf und der Kreis Mettmann neben dem bisherigen Verbandsgebiet zur Weltstadt Ruhr, die auf einer Fläche von über 5.000 Quadratkilometern mehr als 6,4 Mio. Einwohner aufweisen würde, also mehr als rund die Hälfte der jetzigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und mehr als elf der sechzehn deutschen Länder. Die Weltstadt Ruhr wäre die größte deutsche Stadt und könnte nach Überzeugung des Autors mit anderen „Global Cities“ durchaus konkurrieren. Neben den bekannten Defiziten führt Zöpel das vorhandene Potential der Region an, das den Vergleich mit scheinbar übermächtigen Metropolen aushalte. So habe z. B. Los Angeles trotz doppelter Einwohnerzahl weniger Global-City-Funktionen als Ruhr wie Firmensitze transnationaler Konzerne, internationale Messen, Hauptsitze von Großbanken oder Flughäfen. Die Zusammenführung der Messen in Düsseldorf, Essen und Dortmund ergäbe die größte Messe der Welt, die Anzahl der Hochschulen und Studenten im Ruhrgebiet ist schon heute größer als in jeder anderen europäischen Metropole. In kaum einer zweiten Region der Welt gibt es eine so dichte Kultur- und Sportszene.
Für den früheren Planungsminister Zöpel hat das Ruhrgebiet fast alle Voraussetzungen zur Metropole, kann sie aber nicht ausschöpfen, weil es durch die Rivalitäten der Städte und das organisierte Mißtrauen des Landes in seiner Entwicklung behindert wird. Die Herausforderungen und Chancen der globalen Wissensgesellschaft seien nur durch Weltstädte wirklich zu bewältigen, bisher gebe es kein Beispiel für eine Region, die solche Aufgaben tatsächlich erfüllen könnte. Der Schaffung von Groß-Berlin am 27. April 1920, im Jahr der Gründung des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk, war 1912 die Gründung eines Zweckverbandes vorangegangen, der als erster Versuch kommunaler Kooperationsverbände in Ballungsräumen bereits nach acht Jahren beendet wurde. Damals wurde an der Ruhr der gerade gescheiterte Versuch wiederholt – mit ähnlich unzureichenden Ergebnissen.
Die Entwicklung ist seit dem unter dem Aspekt regionaler Handlungsfähigkeit eher durch Rückschritte als durch überzeugende Verwaltungsreformen gekennzeichnet. Die zeitweilige Absicht der Landesregierung, den Kommunalverband Ruhr aufzulösen und durch eine staatliche Agentur zu ersetzen, scheiterte immerhin am Widerstand der Kommunen, die aber mit der landeseigenen „Projekt Ruhr GmbH“ eine weitere Behörde für die Region erhalten, die über die Fördermittel verfügt, die dem gemeinsamen Verband weiter verweigert werden: „Realsatire“, kommentiert Zöpel bitter diese „verwaltungsstrukturelle Orientierungslosigkeit“.
Man muß die Begeisterung nicht teilen, die der Autor für sein Konzept einer „Weltstadt Ruhr“ entwickelt, mit historisch gewachsener Identität, durch Zuwanderung multiethnisch und multikulturell geprägt, „Stadt und Landschaft in einem“, auf Augenhöhe mit etwa zwanzig anderen Global Cities. „Die Global City Rhein-Ruhr ist eine realisierbare Vision, sie ist heute dennoch nicht wahrscheinlich, weil zu viele, auf die es für ihre Realisierung ankommt, sie nicht für realistisch halten“.
Als Zöpel dies schreib, konnte er noch nicht wissen, wer erster Direktor des neuen Regionalverbandes Ruhr werden würde. Die Mehrheit der Verbandsversammlung und der ihr erstmals angehörenden Oberbürgermeister und Landräte entschied sich für den bisherigen Stadtkämmerer von Dorsten. Keine Satire. Die Ruhr – real.
April 2005
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