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Jens Balzer
Pop und Populismus - Über Verantwortung in der Musik
Edition Körber, Hamburg 2019


Wer Pop und Rock, Rap und Hip-Hop und alle mehr oder weniger verbreiteten Formate der populären Musikkultur für reichlich unübersichtlich, eher skurril und politisch scheinbar irrelevant hält, wird in diesem schmalen, aber gewichtigen Band eines Besseren belehrt. „Lange schon war Pop nicht mehr so politisch wie heute“, bilanziert seine erdrückende Materialsammlung: „bloß ist er dies eben in wesentlichen Teilen nicht in einem linken oder emanzipatorischen Sinn. Vielmehr ist er ein getreuer Spiegel der entfesselten Wettbewerbsgesellschaft, in der wir leben“.



Das besondere Verdienst des Buches besteht in der sorgfältigen Analyse von Zusammenhängen zwischen musikalischen und politischen Entwicklungen, zwischen Pop und Populismus. Balzer zeigt, dass mit der Globalisierung der Sounds die vertraute Dominanz der westlichen Tradition endgültig zerbrochen ist und welch dominante Position Themen wie Heimat, Herkunft und Tradition in der deutschsprachigen Rock- und Popmusik inzwischen einnehmen - auch bei Bands, die sich selber als unpolitisch oder eher links einordnen würden.



Mit vielen ebenso erhellenden wie erschreckenden Beispielen aus den letzten zwanzig Jahren verdeutlicht Balzer, dass die immer stärkere Verrohung der Sprache, die wir seit einiger Zeit in den sozialen Medien registrieren, in der Popmusik nicht nur viel früher begonnen hat, sondern längst zum allgemeinen, breite Resonanz sichernden Stilmittel geworden ist. „Der Pop der Gegenwart ist in weiten Teilen von einer enormen sprachlichen Verrohung geprägt und von politisch zutiefst reaktionären Positionen. Er ist sexistisch und patriarchal und er lappt... in einem jenseits der Underground-Sphären des Nazi-Rock lange Zeit unvorstellbaren Ausmaß ins Rassistische und Antisemitische“.



Dies ist nicht die einzige, aber eine besonders auffallende Verbindung zwischen Popmusik und politischem Populismus: das virtuose Wechselspiel aus Provokation und Relativierung. Man behauptet, sagt oder singt etwas, über das viele sich aufregen, und erklärt hinterher, so sei es ganz bestimmt nicht gemeint gewesen. Der Vorwurf verantwortungsloser Stimmungsmache, Beleidigung oder Diskriminierung wird mit dem Verdacht der Zensur und der Verweigerung von Kunst- oder Meinungsfreiheit konterkariert. Ein besonderes Lehrstück ist die seit über zehn Jahren stattfindende internationale Kampagne für den totalen wirtschaftlichen und kulturellen Boykott Israels, die Jens Balzer an konkreten Beispielen deutscher Festivals in den letzten Jahren beschreibt - und nicht zuletzt die Hilflosigkeit von Gesellschaftern, Intendanten wie Kritikern im Umgang mit der ebenso aggressiven wie larmoyanten BDS-Strategie.



Manche Themen dieser Publikation hat der Autor in Artikeln und Essays renommierter Medien in ähnlicher Weise bereits behandelt. Der geballten Ladung in Gestalt dieses Buches möchte man eine breite öffentliche Aufmerksamkeit wünschen, nicht nur im Feuilleton. Dies gilt auch und gerade für seinen Appell, „ein Künstler trägt natürlich Verantwortung für seine Kunst, und es ist die Aufgabe jeder Kritik, diese Verantwortung einzufordern“.


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